
Juni 2017
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Unsere Geschichte
„Kloster“ oder „Fichte“: Ein Standort für das Pulverwerk
Vor 80 Jahren musste ein Standort für das Pulverwerk gefunden werden
Am 21. Juni 1937 wurde in
der Wehrwirtschaftsinspekti-on
VII in München eine fol-genschwere
Entscheidung
getroffen, die indirekt den
Landkreis Mühldorf erheblich
verändern sollte und quasi
zum „Urgründungstag“ von
Waldkraiburg wurde.
Seit 1936 waren Planer für
die massive Aufrüstung des
Deutschen Reichs unterwegs,
um geeignete Standorte für
den Bau von Rüstungsfabri-ken
zu finden. In Süddeutsch-land
sollten aus militärstrate-gischen
Gründen auch Pul-
ver- und Sprengstoffwerke
gebaut werden - man be-fürchtete
einen Zweifronten-krieg
mit Frankreich und der
Tschechoslowakei, bei dem
Süddeutschland möglicher-weise
von Materiallieferungen
aus dem Norden abgeschnit-ten
werden könnte.
Bis zum März 1937 waren in
unserer Region zwei Flächen
in die engere Wahl gekom-men,
nämlich die Wälder
beim Bahnhof von Kastl bei
Altötting und beim Kraiburger
Bahnhof. Die beiden großen
Areale Altöttinger Forst und
Mühldorfer Hart waren zur
Tarnung der Bauten in Be-tracht
gezogen worden. Dazu
waren beide Standorte durch
flaches Terrain, genügend
Wasservorkommen und einen
Bahnanschluss inmitten des
Waldes bestens geeignet.
Auch lagen beide Bahnhöfe
in der Nähe des überregiona-len
Bahnknotenpunktes Mühl-dorf
und größere Ansiedlun-gen
waren unmittelbar nicht
vorhanden. Wohl aufgrund
der Nähe zum Wallfahrtsort
Altötting erhielt der Standort
bei Kastl den Decknamen
„Kloster“. Das Bauvorhaben
am Kraiburger Bahnhof wur-de
„Fichte“ genannt.
Warum man sich schließlich
am 21. Juni 1937 in München
für „Fichte“ entschied, lag
wesentlich an zwei Faktoren.
Erstens: Den Militärstrategen
lag „Kloster“ damals zu nahe
an der österreichischen Gren-ze.
Als dann am 14. März
1938 Österreich von Adolf
Hitler „ins Reich heimgeführt
wurde“, war die Standortwahl
längst entschieden.
Das zweite Argument ist aus
landesplanerischer Sicht zu
verstehen. Im Landkreis Altöt-ting
gab es bis 1937 mit dem
Aluminiumwerk in Töging, der
Maschinenfabrik Esterer in
Altötting und den chemischen
Betrieben der Wacker AG bei
Burghausen bereits drei grö-ßere
Industrieanlagen, wel-che
die stark landwirtschaft-lich
geprägte Gegend verän-derten.
Zudem sollte in der
Nähe des Weilers Gendorf
bei Burgkirchen an der Alz
1937 ebenfalls eine Rüs-tungsfabrik
entstehen. In die-sem
Betrieb wurde ab Mai
1941 u.a. einer der Aus-gangsstoffe
für die Pulverpro-duktion,
nämlich Diglykol,
hergestellt. Im Landkreis
Mühldorf hingegen gab es
bisher aber noch keinen ein-zigen
Industriebetrieb.
Wirtschaftlicher Impuls
Der Bau des Pulverwerks der
Deutschen Sprengchemie
GmbH (DSC) am Kraiburger
Bahnhof und des Schwester-betriebes
der Verwert-
Chemie GmbH (VC) zwi-schen
Aschau und Fraham
ab August 1938 war also
durchaus auch als wirtschaft-licher
Impuls gedacht. Beden-ken
von Seiten der bayeri-schen
Forstverwaltung blie-ben
unberücksichtigt. Hier ein
Zitat aus einem Schreiben
des Heereswaffenamts vom
5. Mai 1937:
„Im übrigen darf darauf hinge-wiesen
werden, daß der letz-te
Erkundungsflug über meh-rere
Fabriken alle Teilnehmer
ohne Ausnahmen davon
überzeugt hat, daß geschlos-sene
Hochwälder erheblich
bessere Tarnungsmöglichkei-ten
bieten, als ein Gelände
mit kleinen Waldteilen“. Es sei
erwähnt, dass die Wahl der
Standorte für die Werke im
heutigen Geretsried, Neu-gablonz
und Traunreut nach
demselben Muster erfolgte.
Dass sich rund zehn Jahre
nach der Standortwahl in den
beiden weitläufigen, 1945
stillgelegten Werksarealen
Kraiburg und Aschau eine
bunte Zahl von zivilen Indus-trie-
Unternehmen, vor allem
von Heimatvertriebenen ge-gründet,
ansiedeln würde,
konnte 1937 noch niemand
voraussehen.
Impressum
Herausgeber: Stadt Waldkraiburg
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Hanesch, Erika Fischer, Anna Hörth, Carsten Schwunck,
Georg Deibl, Renate Leinfelder, Michaela Olbricht, Hansjörg
Malonek, Ramona Masun, Ferenc Bene, Claudia Gelaschwili,
Gabi Röpke, Hans Auer, Eva-Maria Kamrad, Leonhard
Schleich, Alexander Rahm, Hildegard Hintereder, Alexandra
Wagner, Annette Gibis, Claudia Golder, Thomas Lainer, Kai
Röpke, Regina Zinn, Diana Molter, Gerd Ruchlinski, Konrad
Kern;
Auflage: 13.000
Erscheinungsweise: monatlich
Nächste Ausgabe: Samstag, 01. Juli
Druck: Geiselberger Medien-Gesellschaft mbH, Martin-
Moser-Str. 23, 84503 Altötting